Rede von Torsten Felstehausen

Torsten Felstehausen zur Stärkung der Rolle der Kommunen auf EU-Ebene

Torsten FelstehausenInnenpolitik

In seiner 115. Plenarsitzung am 11. Oktober 2022 diskutierte der Hessische Landtag einen Gesetzentwurf der FDP zur Stärkung der Rolle der Kommunen auf EU-Ebene. Dazu die Rede unseres kommunalpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier und heute einen Gesetzentwurf der FDP,

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Ja!) ein „Gesetz zur Stärkung der Rolle der Kommunen auf EU-Ebene“.

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Genau!)

Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen: Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, der Titel Ihres Gesetzentwurfs ist wirklich gut gewählt, weil er unmittelbar einleuchtet. Eine „Stärkung der Rolle der Kommunen auf EUEbene“ – sicherlich würde sich keiner hier im Haus und schon gar niemand in den hessischen Kommunen darüber beschweren, wenn es dazu kommen würde.

(Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten): Aber?)

– Das Aber kommt noch; ich will noch ein bisschen beim Lob bleiben.

(Beifall Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten) – Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten): Noch mehr Lob?)

Wie im Gesetzentwurf richtigerweise hervorgehoben, haben die allermeisten EU-Regelungen direkt oder indirekt Einfluss auf die Kommunen – Herr Hahn sagte gerade, es seien 70 %. Manches davon ist aus unserer Sicht wichtig und gut, anderes wiederum ist grundfalsch, und vieles ist einfach nur kompliziert und intransparent. Dies gilt vor allen Dingen für die vielen komplizierten Fördertöpfe, die mit ihrer Bürokratie und dem undurchsichtigen Wirrwarr an Zuständigkeiten viele unnötige Hürden enthalten.

Doch egal, wie man zu EU-Regelungen im Einzelnen steht: Ganz viele dieser Regelungen betreffen die Kommunen, und daher wäre es absolut sinnvoll, wenn deren Rolle auf EU-Ebene gestärkt werden würde.

Eine solche Aufwertung der Kommunen wäre allerdings nur einer von mehreren wichtigen Schritten, um die EU insgesamt transparenter, bürgernäher und vor allem demokratischer zu gestalten – etwas, was dringend notwendig ist.

In diesem Zusammenhang müssten wir dann allerdings über weiter gehende Fragen sprechen, z. B. darüber, wie man den Einfluss von Lobbygruppen, Konzerninteressen und neoliberalen Thinktanks auf EU-Ebene wirkungsvoll zurückdrängen kann. Oder lassen Sie uns darüber sprechen, wie sich die Machtbefugnisse von der EU-Kommission, aber auch von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, hin zum Parlament und zur Zivilgesellschaft verschieben lassen. Wir könnten auch darüber diskutieren, was wir dagegen tun können, dass Frontex und Co. weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit die europäischen Außengrenzen militarisieren und eine Festung Europa entsteht, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht,

(Zuruf AfD: Aha!) um ihren Wohlstand nicht mit dem Rest der Welt teilen zu müssen. All das könnten wir in einer Debatte um Europa sehr wohl diskutieren.

(Beifall DIE LINKE – Dirk Gaw (AfD): Unmöglich!)

All das sind wichtige und grundlegende Fragen von Demokratie in Europa, über die wir sprechen sollten, sprechen müssten, bei denen ich allerdings begründete Zweifel hätte, ob wir da einen Konsens mit der FDP hinbekommen würden.

Hier und heute geht es jedoch um die Rolle der Kommunen. Und da ist für uns ganz klar: Ja, die Rolle der EU muss – –

(Lachen Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten))

Die Rolle der Kommunen in der EU muss gestärkt werden, und die Hessische Landesregierung muss hier mehr tun als bisher, um die Kommunen dabei zu unterstützen, meine Damen und Herren.

Das Problem ist allerdings – und jetzt komme ich zu meiner Kritik –: Der Gesetzentwurf der FDP trägt hierzu einfach rein gar nichts bei. Im Gegenteil, er beschreibt zwar ein reales Problem, aber er verortet das Problem auf der falschen Seite, am falschen Ende, nämlich bei den Kommunen und nicht dort, wo es eigentlich entsteht, auf der Ebene der EU. In diesem Sinne ist der Titel zwar einleuchtend, aber eben auch total irreführend.

Der Einfluss der Kommunen auf die EU-Politik erhöht sich nämlich nicht dadurch, dass das Land den Kommunen vorschreibt, ab sofort Europabeauftragte einzusetzen. Wenn, dann müsste umgekehrt die Landesregierung auf die EU einwirken, damit die dort vorhandenen Gremien und Interessenverbände der Kommunen stärker berücksichtigt werden und es neue Mechanismen der demokratischen Mitbestimmung von unten gibt. Davon ist aber in Ihrem

Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, überhaupt keine Rede.

Jetzt den Kommunen aber per HGO-Änderung vorschreiben zu wollen, eine solche Beauftragtenposition einrichten zu müssen, meine Damen und Herren, das ist wirklich komplett sinnfrei und stellt einen unmittelbaren Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar.

Sie tun ja gerade so, als ob die Kommunen sich bisher nicht mit Europa beschäftigt hätten oder erst ein Gesetz dafür bräuchten, um sich mit Europa zu beschäftigen. Aber genau das Gegenteil ist doch der Fall.

Einige, insbesondere größere Kommunen haben längst Europabeauftragte ernannt, andere betrachten es als Querschnittaufgabe und machen das dezentral, je nachdem, wie die lokale Verwaltung organisiert ist und wie sie arbeitet. Die Kommunen jedenfalls wissen sehr genau, wofür sie die Gelder und ihr Personal einsetzen müssen; dafür brauchen sie keine guten Ratschläge – Stichwort: Beauftragte – der FDP.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten): Europa-Union!)

Damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Wirklich absurd ist, dass ausgerechnet die FDP einen solchen Vorschlag macht, ausgerechnet jene Fraktion, die sich bei jeder passenden und noch mehr bei jeder unpassenden Gelegenheit als Hüterin der kommunalen Selbstverwaltung darstellt, die Bürokratieabbau und schlanken Staat inszeniert.

(Beifall Miriam Dahlke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Und sie will jetzt den Kommunen vorschreiben, was sie zu tun haben? Es ist doch absurd, mit dem Verweis auf die kommunale Selbstverwaltung gegen die Abschaffung der unsozialen Straßenbeiträge zu sagen: Da wollen wir den Kommunen etwas nicht vorschreiben, aber hier wollen wir jetzt zwingend Beauftragte einführen. – Es ist doch absurd, gemeinsam mit dem Bund der Steuerzahler regelmäßig für den Abbau kommunaler Leistungen zu argumentieren, jetzt aber allen Kommunen ab 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hauptamtliche Europabeauftragte aufs Auge drücken zu wollen. Das passt doch gar nicht zu Ihrem Profil. Diese Hauptamtlichen werden – so viel kann ich Ihnen verraten –, ein bisschen mehr als die 500 € pro Monat kosten, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf veranschlagt haben.

Unser Fazit: Ja, wir müssen die Rolle der Kommunen stärken; wir müssen sie sogar deutlich stärken, wenn es um Europa geht. Und ja, es ist gut, wenn sich die hessischen Kommunen mit europäischen Angelegenheiten beschäftigten. Aber allen Kommunen per Gesetz Europabeauftragte aufzuzwingen, ist sicherlich der falsche Weg. Ein solcher Schritt löst keines der Probleme und ist ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung.

Falls es hierzu eine Anhörung gibt – wir jedenfalls werden alles dafür tun, dass es dazu kommt –, werden die Kommunen das sicherlich ähnlich kommunizieren. Wir werden auf jeden Fall diesen Gesetzentwurf ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Freie Demokraten: Oh!)