Torsten Felstehausen aktiv vor Ort

Grundrechte verteidigen, Versammlungsgesetz blockieren

Torsten Felstehausen
Fraktion im Hessischen LandtagTorsten FelstehausenAntifaschismusInnenpolitikJustiz- und Rechtspolitik

Mit einem neuen Versammlungsgesetz will Schwarz-Grün einschneidende Verschärfungen für Demonstrationen in Hessen durchsetzen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1985 Demonstrationen als „Abwehrrecht gegenüber dem Staat“ definiert und als grundlegendes Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens in Ergänzung zu dem System der parlamentarischen Demokratie bezeichnet. 

Dazu gehören vor allem die Autonomie, wie Demonstrationen ausgestaltet werden, die grundsätzliche Staatsfreiheit, der ungehinderte Zugang zu Versammlungen und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Schwarz-Grün hat jetzt ein Versammlungsrecht entworfen, das im Kern nicht mehr die Förderung der Grundrechtsausübung, sondern Gefahrenabwehr, also „Law and Order“ als Maßstab des staatlichen Handelns macht. Entsprechend sollen die Rechte der Polizei noch weiter ausgeweitet werden und zusätzliche Möglichkeiten zur Kriminalisierung geschaffen werden.

Rechtskonservativer Kampfbegriff „Störung der öffentlichen Ordnung“
Die mögliche „Störung öffentlicher Ordnung“ soll in Zukunft pauschal die Versammlungsfreiheit einschränken. Schon das „Ruhebedürfnis von Anwohnern“ oder „die Leichtigkeit des Straßenverkehrs“ könnten als Begründung für Demonstrationseinschränkungen reichen. Obwohl der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ vollkommen unkonkret ist, soll deren vermeintliche Gefährdung nach dem Willen von Schwarz-Grün reichen, Kontrollstellen einzurichten, Video- und Drohnenüberwachung zu nutzen und Menschen zu durchsuchen. Dieses Gesetz ist gemäß des Kommitees für Grundrechte ein „in Schriftform gegossener Freifahrtschein für“ Repression und Polizeigewalt.

Durchsuchung und Identitätsfeststellung
Schon im Vorfeld einer Demonstration soll es erlaubt werden, Menschen an stationären und mobilen Kontrollstellen aufzuhalten und zu durchsuchen. In besonderen Fällen ist sogar die Feststellung der Identität erlaubt. Damit wird das Versammlungsrecht erheblich beschnitten, da repressiven Maßnahmen eine erhebliche abschreckende Wirkung auf die Teilnehmer*innen haben und das Recht auf Anonymität damit entfällt. 

Ton und Bildaufnahmen  
Wenn sogenannte „tatsächliche Anhaltspunkte eine Annahme(!) rechtfertigen, dass eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht“ soll es der Polizei erlaubt sein, Bild- und Tonaufnahmen der Veranstaltung zu machen. Auch hier wird wieder auf das sogenannte „polizeiliche Erfahrungswissen“ verwiesen, mit dem schon jetzt jede Maßnahme des Racial Profilings gerechtfertigt wird. Das verletzt  das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und erzielt eine erheblich abschreckende Wirkung auf Teilnehmer*innen. Neue Technologie wie Gesichtserkennung und Bewegungsanalysen lassen befürchten, dass zukünftig alle unliebsamen Demonstrationen lückenlos erfasst und analysiert werden.

Erweitertes Vermummungsverbot
Schon auf dem (vermeintlichen) Weg zu einer Demonstration soll es eine Straftat sein, sich zu „vermummen“. Was Schwarz-Grün alles darunter versteht, findet sich in der Gesetzesbegründung: „Die Unkenntlichmachung kann durch Bemalen, Masken, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird auch durch eine sonstige Verkleidung oder das Verdecken des Gesichts durch Kapuzen, Mützen oder Schals erreicht.“ Alles, was der „hoheitlichen Feststellung der Identität“ im Wege sein könnte, soll ab. Schon in der Vergangenheit war diese Regelung immer wieder der Vorwand, gegen Einzelne oder auch eine gesamte Versammlung vorgehen zu können. 
Für DIE LINKE ist klar, es geht den Staat nichts an, ob wir bei friedlichen Demos Hüte oder Bärte tragen, der Staat hat kein Recht unter Strafandrohung feststellen zu wollen, wer da demonstriert. 

Militanz- und Einschüchterungsverbot
Was sich in der Begründung anhört, als ob es sich gegen Nazis richten würde, wird sich bald gegen uns richten. Nach dem Geist des neuen Versammlungsgesetztes in können schon die bloße Bildung „farblicher Blöcke“ (Menschen in Maleranzügen?) einschüchternden Charakter haben und Anlass für Polizeimaßnahmen werden. Was als „einschüchternd“ zu werten ist, legt zukünftig die Polizei vor Ort fest. Als LINKE lehnen wir diesen Ermessenspielraum ab. Es ist ausschließlich die Sache der Veranstalter*innen, ihre Versammlung zu gestalten. Dass unterschiedliche Gruppen verschiedene Standpunkte innerhalb einer Demo durch Farben oder Auftreten darstellen ist weder unüblich, noch verwerflich.

Polizei bei und in Demos
Geht es nach Schwarz-Grün soll die Polizei zukünftig ein nahezu uneingeschränktes anlassloses Anwesenheitsrecht in unseren Demos haben. Nicht, dass es schon heute oftmals so ist, aber wir lehnen dies als schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit ab. Bereits jetzt werden viele Demonstrationen so eng und aggressiv von der Polizei begleitet (Wanderkessel), dass damit das gesamte Bild der Veranstaltung geprägt wird und unsere Inhalte kaum noch die Öffentlichkeit erreichen. Für DIE LINKE ist klar: Es sind unsere Demos, die Polizei hat in unseren Reihen, verdeckt oder offen, nichts zu suchen. 

Zuverlässigkeitsprüfung schon bei der Anmeldung
Zukünftig können Anmelder*innen oder Versammlungsleiter*innen als ungeeignet abgelehnt werden. Es ist völlig unklar, auf welche Erkenntnisse sich die Versammlungsbehörde dabei bezieht. Aber auch die Ordner*innen sollen in bestimmten Fällen im Vorfeld benannt, überprüft und ggf. „als ungeeignet abgelehnt“ werden können. DIE LINKE lehnt diese Art einer „versammlungsrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung“ entschieden ab. Es soll Menschen sogar im Vorfeld verboten werden können, an Demonstrationen teilzunehmen, dadurch wird deren Grundrechtsausübung vollständig kassiert.

Datensammelwut ohne Datenschutz
Zukünftig sollen weit mehr Daten der anzeigenden Person und der Versammlungsleitung sowie der Ordner*innen gegenüber der Versammlungsbehörde gemeldet werden. Offen bleibt hier, welche Daten konkret verlangt werden können. Dabei ist klar: Es geht um besondere Kategorien personenbezogener Daten, weil mit ihnen aus dem Zusammenhang Informationen zu politischen oder weltanschaulichen Ansichten verbunden sind. Im Gesetz fehlen dabei durchgängig die notwendigen Regelungen zur Datenverarbeitung, Nutzung und Übermittlung personenbezogener Daten. Der notwendige Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird ignoriert.

Kriminalisierung statt Grundrechtsschutz
Das neue Versammlungsrecht kommt mit einem sehr umfangreichen Katalog von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten daher. Es soll zwei Straftatbestände geben, die mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Zudem soll es sieben Straftatbestände geben, die mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Neben der Vielzahl an zu verfolgenden Straftaten schlägt Schwarz-Grün zudem einen Katalog von ganzen 18 (!) Ordnungswidrigkeiten vor. Besonders absurd ist, dass die Nichtbefolgung von Anordnungen der Versammlungsbehörde straf- und bußgeldbewehrt sein soll, auch wenn festgestellt wurde, dass diese Anordnung rechtswidrig war. Diese Kriminalisierungswut ist eine Gefahr für die Demokratie, denn dabei bleibt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auf der Strecke.


Was fehlt?

Neue Aktionsformen
Auch neue Aktionsformen brauchen Raum in einem modernen Gesetz. Protestcamps, Nachttanzdemos und Performance fallen unter die Versammlungsfreiheit. Die Förderung dieser Aktionsformen oder auch eine Pflicht zum Überlassen von Freiflächen für notwendige Infrastruktur für Massenproteste würde einem modernen Versammlungsgesetz gut zu Gesicht stehen.

Schutz der Pressevertreter*innen 
Das Recht auf freie Berichterstattung ist leider nicht Bestandteil dieses Versammlungsrechts. Dabei werden Pressevertreter*innen immer wieder von Nazis und Querdenkern angegriffen und in ihrer Arbeit gehindert. Ein solches Recht würde auch die Arbeit der Presse vor Angriffen und Repression der Polizei schützen.

Klare Regeln für Versammlungsbehörden
Immer wieder versuchen die Versammlungsbehörden, Auflagenbescheide erst im letzten Moment auszustellen. Damit soll ein effektiver Rechtsschutz der Anmelder*innen unterlaufen werden, da die Zeit für rechtliche Beratung und Klageeinreichung vor dem Verwaltungsgericht davonläuft. DIE LINKE fordert die Verpflichtung der Versammlungsbehörden unmittelbar nach Anmeldung tätig zu werden. Geschieht das nicht, dürfen den Anmelder*innen hierdurch keine Nachteile entstehen.

Für DIE LINKE ist klar, die gesellschaftlichen Verhältnisse brauchen unseren bunten und lauten Widerspruch. Von Demonstrationen über Blockaden bis zum zivilen Ungehorsam.

 

Mehr Infos:
Gesetzentwurf von Schwarz-Grün
Die Debatte im Hessischen Landtag, 1. Lesung

Stellungnahmen der Anzuhörenden und Expert*innen

Teil 1
Teil 2
Teil 3​​​​​​​